Sexualisierte Gewalt in organisierten Strukturen
Es gibt keine aktuelle breit anerkannte Definition. Sexualisierte Gewalt in organisierten Strukturen ist die systematische Anwendung sexualisierter Gewalt durch die Zusammenarbeit mehrerer Täter(*innen). „Rituelle Gewalt“ bezeichnet eine besondere Form der organisierten sexualisierten Gewalt, bei der die Täter(*innen) ihr Vorgehen auf Ideologien begründen, die Gewalt damit rechtfertigen und intensivieren. Betroffene und Helfende berichten zum Beispiel von (schein-)religiösen und/oder rechtsextremen Ideologien.
Ausgangslage
In den letzten Jahren gab es im Bereich der organisierten sexualisierten Gewalt an Kindern und Jugendlichen polizeiliche Ermittlungserfolge (z. B. Staufen (2017), Lügde (2018), Bergisch Gladbach (2019), Münster (2020)). Während die Existenz von organisierter sexualisierter Gewalt inzwischen breite Anerkennung findet, ist die Situation im Hinblick auf organisierte sexualisierte Gewalt unter Einbezug von Ideologien eine Andere. Bei der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs liegen viele Berichte von Betroffenen zu organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt vor. Beratungsstellen und Therapeut*innen arbeiten seit vielen Jahren mit betroffenen Menschen. Auch die hohe Zahl der beim Fonds Sexueller Missbrauch gestellten Anträge von Betroffenen weist auf eine Relevanz des Themas hin. In der Wissenschaft und Justiz existieren aber bislang noch keine belastbaren Zahlen und verlässlichen Aussagen zum Hellfeld im Hinblick auf organisierte sexualisierte Gewalt unter Einbezug von Ideologien.
Dadurch entstanden und entstehen weiterhin heftige Debatten. Wenn Betroffene von ihren Erlebnissen berichten, wird oft an ihrer Glaubwürdigkeit gezweifelt. Im fachlichen Diskurs herrscht Uneinigkeit. Die Nutzung von Begriffen wie „Mind-Control“ oder „Programmierung“ ist vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Jahre überdacht worden. Auch ECPAT verbreitet diese Begriffe nicht mehr. Dass manipulative Strategien von Täter(*innen) strategisch genutzt werden, um Kinder und Jugendliche über einen längeren Zeitraum sexuell ausbeuten zu können, ist fraglos. Und dabei spielen auch Ideologien zur Rechtfertigung und Intensivierung von der Gewalt, zur Bindung von Personen an die Täter(*innen)-Gruppe und zum Machterhalt eine Rolle.
Für ECPAT steht das Thema in Verbindung mit kommerzieller sexueller Ausbeutung (Handel mit Kindern, sexuelle Ausbeutung, Herstellung von Darstellungen sexualisierter Gewalt). Das Ziel der unterschiedlichen kriminellen Strukturen, die sexualisierte Gewalt ausüben, ist meist finanzieller Gewinn durch sexuelle Ausbeutung.
Fachpolitisches Engagement und Kooperation
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat von 2016 bis 2018 einen eigenen Fachkreis zum Thema der sexualisierten Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen ins Leben gerufen. Darin engagierten sich etwa 20 Expert*innen aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern, deren Arbeit durch die Kinderschutz-Zentren und ECPAT Deutschland koordiniert wurde. Ausgehend von der vertieften Auseinandersetzung mit der Problematik, entstanden Empfehlungen, die an Politik und Gesellschaft weitergegeben wurden sowie ein Erklärvideo. Seitdem hat sich der Diskurs weiterentwickelt. Das Wissensportal wissen-schafft-hilfe.org, das von Juli 2020 bis September 2022 vom Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) in enger Kooperation mit N.I.N.A. e. V. (www.nina-info.de) entwickelt wurde, stellt Informationen und Erkenntnisse zum Thema sexueller Kindesmissbrauch in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen für Fachkräfte und Betroffene zur Verfügung. Für Betroffene organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt wurde mit dem Hilfe-Telefon berta eine telefonische Anlaufstelle geschaffen.
Hier finden Betroffene und Fachkräfte Informationen und Hilfe